Im Dezember 2023 haben wir einen zweiteiligen Artikel mit dem Titel «Wie man fake Websites und Online-Shops erkennt» veröffentlicht. Wir wollten aus der Sicht eines Hosters und Webentwicklers schildern, wie man ohne komplizierte Analyse betrügerische Websites erkennen kann.
Heute wollen wir etwas vertieft in sogenannte «Shopping-Fallen» eintauchen, die viel mit Manipulation der Nutzererfahrung im Browser, sogenannten «Dark Patterns», zu tun haben, ein Begriff, den wir weiter unten mit Beispielen erklären.
Der Auslöser für uns, das Thema nochmals aufzugreifen, war ein Artikel vor Monaten auf 20 Minuten mit dem Titel «Fiese Strategien: Wegen diesen Shoppingfallen kaufst du online mehr als du willst».
Leider ist der Artikel recht kurz geraten und zeigt nur vier gebräuchliche «Tricks» von modernen Online-Shops auf. Dass das Ganze tiefer geht und mit «Dark Patterns» zu tun hat, wird leider nicht erwähnt, obschon der Artikel auf eine Studie der University of Michigan verlinkt, die ausdrücklich den Begriff erwähnt. Auch der Hinweis, dass der Online-Shop von 20min auch nicht über alle Zweifel erhaben ist, fehlt.
Um etwas Praxis in diesen Blogbeitrag einzuflechten, werden wir weiter unten unter anderem aufzeigen, wie ein WordPress bzw. WooCommerce-Shop die vier «Tricks», die 20 Minuten auflistet, umsetzen könnte.
Warum Shoppingfallen – online und offline – funktionieren: Der Mensch ist beeinflussbar
Aus unserer Sicht liegt der hauptsächliche Grund, warum Menschen auf Verkaufsstrategien reinfallen in der jeweiligen Psyche des Käufers oder der Käuferin.
Strategien wirken kaum bei Menschen, die sich klar ein Ziel bzw. Schranken beim Online-Kauf gesetzt haben, z.B. ein limitiertes Budget, eindeutiges Produkt usw.
Trotzdem scheint es gewisse Techniken zu geben, Menschen dazu zu bringen, Dinge zu tun, die sie nüchtern betrachtet nicht machen würden. Die Wurzeln dafür liegen weitgehendst in unserer evolutionären Psychologie.
Robert B. Cialdini, ein Professor für Sozialpsychologie an der Arizona State University (jetzt mit 79 Jahren wohl eher im Ruhestand), hat in den 80er-Jahren ein populärwissenschaftliches Buch mit dem Titel «Influence: Science and Practice» geschrieben und sechs Prinzipien aufgelistet, wie man Menschen beeinflussen, oder seien wir direkt, manipulieren kann. Wir werden ein paar seiner Thesen unten in der praktischen Anwendung in Online-Shops sehen.
Der Blog von unwashed, einer digitalen Agentur in Ulm, fasst die Thesen von Cialdini gut auf Deutsch zusammen: https://unwashed.co/blog/influence-robert-cialdini/.
Vertiefend ist ein Interview mit Cialdini in der «Harvard Business Review» mit dem Titel «The Uses (and Abuses) of Influence» zu empfehlen. Es dürfte offensichtlich sein, dass manipulative Shops jede psychische Angriffsfläche, die der Mensch bietet, mit einem organisierten professionellen Plan ausnützen. Wer als Konsument keinen «Gegenplan» hat, ist ab dem ersten Klick in einem Online-Shop im Nachteil.
«Dark Patterns» – Manipulierte Nutzeroberflächen (Web & Apps), um Nutzer zu täuschen
Teil fast jeder Kampagne gegen uns, die Nutzer, ist das Manipulieren von «UX», also der «User Experience», und der dazugehörigen Nutzeroberfläche. Das gilt für alle digitalen Nutzeroberflächen, egal ob Website oder App.
Der Begriff «Dark Pattern» wurde bereits 2010 von einem UX-Designer (ein Typ Designer, der auf das Gestalten von Nutzererfahrung und Nutzeroberflächen spezialisiert ist) in Grossbritannien namens Harry Brignull geschaffen. Er wollte damit anprangern, dass immer mehr Websites und Apps die Tugenden eines nutzerfreundlichen, neutralen Designs verliessen, um in dunkles, manipulatives Design abzudriften. Aktuell betreibt er mit Partnern die Website «Deceptive Patterns».
Das deutsche dapde oder «Dark Pattern Detection Project», betrieben vom Deutsches Forschungsinstitut für öffentliche Verwaltung Speyer (mit Aufsicht vom Ministerium für Wissenschaft, Weiterbildung und Kultur in Deutschland) beschreibt es so:
Bei Dark Patterns handelt es sich um Designmuster die Nutzer:innen zu einem bestimmten Verhalten verleiten, das ihren Interessen widerspricht, und dabei die Gestaltungsmacht einseitig im Interesse ihrer Verwender:innen ausnutzt.
https://dapde.de/de/dark-patterns/definition/
Viele «Dark Patterns» sind mittlerweile in einigen Ländern verboten. Wir werden auf die Rechtslage am Ende von Teil Zwei engehen.
Online-Shops mit WooCommerce – Praktische Beispiele der Beeinflussung und «Dark Patterns»
Wir verlassen die kurz gehaltene Theorie und fokussieren uns auf Designmuster, die in Online-Shops gang und gäbe sind. Als spezieller Clou ergänzen wir die Muster mit Beispielen, wie man sie in WordPress und WooCommerce umsetzen könnte mittels Open-Source-Plugins, oder sonst öffentlich zugänglichem Code.
Für uns als Hoster-Firma, Onlinemarketing- und WordPress-Consultants ist es höchst interessant festzustellen, dass offenbar eine Nachfrage nach solchen Lösungen besteht. Ansonsten gäbe es nicht das grosse Angebot an Plugins.
Wir empfehlen eindeutig, einige der besprochenen Plugins nicht zu installieren, weil sie manipulativ sind und den Nutzern falsche Tatsachen vortäuschen. Sie könnten auch gegen lokale Gesetze verstossen, z.B. unlauterer Wettbewerb.
Wir finden auch, dass die Verantwortlichen von WordPress.org, wo es ein offizielles Verzeichnis von open-source Plugins gibt, vermehrt das Thema Dark Patterns in die Evaluation von neuen und bestehenden Plugins einbeziehen sollten. Im Moment ist das Team, das Plugins in das Verzeichnis zulässt, eher mit Sicherheitspunkten beschäftigt, also Plugins weitmöglichst hackersicher zu machen. Wir verstehen, dass diese Aufgabe am dringendsten ist.
Druck auf Nutzer
Das dapde beschreibt Dark Patterns in der Kategorie «Druck» wie folgt:
… zielt darauf ab, Druck aufzubauen. Nutzer:innen werden wiederholt zu Handlungen aufgefordert, sie werden mit (angeblichen) sozialen Normen oder (angeblicher) Verknappung von Gütern konfrontiert. Sie sehen sich damit unter Druck gesetzt, eine bestimmte Handlung vorzunehmen oder zu unterlassen.
https://dapde.de/de/dark-patterns/arten-und-beispiele/druck2/
Von den sechs Prinzipien, die Cialdini (siehe oben) rausgefunden hat, gehören drei in diese Kategorie. Davon sind für Shops die folgenden zwei relevant:
Social Proof – Sozialer Beweis
Wir können nicht anders. Wir hören auf die Meinung anderer Menschen. Wir vertrauen ihnen. Deshalb gibt es «Testimonials», «Ratings» und Rezensionen auf Produktseiten. Gerade weil sie sich für die gleichen Produkte interessieren wie wir, sehen wir diese Menschen als uns ähnlich und so steigt das Vertrauen in ihre Meinung.
Das Konzept von «Social Proof» lässt sich noch massiv steigern. Heutzutage leben wir in einer «Celebrity Culture», mehr als je zuvor. Empfehlungen von Berühmtheiten nehmen wir deshalb noch ernster. Interessanterweise ist es ein typisches Zeichen von «fake Shops» (und auch fake Ads, z.B. auf YouTube, gegen die aus unserer Sicht Google viel zu wenig tut), wenn sie Bilder von Berühmtheiten verwenden, besonders von solchen, die geografisch zu den Webbesuchern passen. Mit etwas «reverse image search» findet man schnell raus, dass es sich um geklaute Bilder handelt.
Online-Shops wie digitec bzw. Galaxus in der Schweiz nutzen massiv Social Proof, z.B. mit Produktrenzensionen, und zeigen zusätzlich, was Kunden in Echtzeit einkaufen. Auch offline leben bisherige Plakatkampagnen von digitec von diesem Konzept.
Die erste Firma, die im grossen Stil Social Proof anwandte, ist wahrscheinlich Amazon, die seit 1998 zeigen, was andere Käufer des gleichen Produkts sonst noch kauften. Bei den Rezensionen durch Nutzer gibt es immer wieder gekaufte und damit manipulierte Rezensionen, was auch seriöse Verbrauchermagazine von deutschen öffentlich-rechtlichen Sendern bereits zum Thema machten.
Was ist, wenn dein Shop ganz neu ist, wenige Bestellungen hat und noch weniger Produktrezensionen? Da kommt «Fake Social Proof» ins Spiel.
Deceptive Patterns beschreibt es wie folgt:
Der Benutzer wird in die Irre geführt und glaubt, ein Produkt sei beliebter oder glaubwürdiger, als es tatsächlich ist, weil ihm gefälschte Bewertungen, Testimonials oder Aktivitätsnachrichten angezeigt werden.
https://www.deceptive.design/types/fake-social-proof
Eine Möglichkeit solchen «Fake Social Proof» künstlich herzustellen, ist das folgende WordPress-Plugin:
WordPress-Plugin: Faview – Virtual Reviews for WooCommerce
Aus der Plugin-Beschreibung:
Virtual Reviews for WooCommerce ist ein WooCommerce-Bewertungs-Plugin, mit dem Sie automatisch Bewertungen für Ihr WooCommerce-Produkt erstellen können. Das Plugin ist sehr nützlich für neue Shops, die nicht viele Kundenbewertungen haben.
Das Plugin hat über 10’000 aktive Installationen. Du findest es, wie fast alle weiteren Plugins, im offiziellen WordPress-Pluginverzeichnis:
Der viel bessere Weg, obschon es auch etwas störend ist und als Spam verstanden werden kann, ist eine gewisse Zeit nach dem Kauf die Käuferin zu bitten, eine Rezension oder wenigstens ein Rating abzugeben.
Mit dem folgenden Plugin, das über 60’000 aktive Installationen aufweist, geht das ganz gut. Man könnte diese Bitte auch mit einem Rabattcoupon für den nächsten Kauf versüssen.
WordPress-Plugin: Live sales notification for WooCommerce, Fake sales notification for WooCommerce, Recent sales popup for WooCommerce
Um Aktivität im Shop zu suggerieren oder faken, hilft das folgende Plugin mit über 100’000 aktiven Installationen (!) Abhilfe. Aus der offiziellen Plugin-Beschreibung:
Diese Live-Verkaufsbenachrichtigung für das WooCommerce-Plugin steigert Ihren Gesamtumsatz, da Ihre Besucher mehr Vertrauen in den Kauf bei Ihnen gewinnen, wenn sie sehen, wie andere bei Ihnen kaufen.
Selbstverständlich gibt es noch weitere Plugins, die das Gleiche tun. Gehen wir zum nächsten Punkt unter «Druck» bei dapde:
Verknappung («Scarcity») – oder FOMO: «The Fear of Missing Out»
dapde beschreibt es wie folgt:
Das Scarcity-Pattern erweckt (wahrheitsgemäß oder fälschlicherweise) den Eindruck, eine Ware oder Dienstleistung ist nur noch in knapper Zahl verfügbar.
Dieses Beispiel setzt unter Druck, indem die Anzahl der zur Verfügung stehenden Produkte eingeblendet wird. Die Verwendung einer bunten Farbe lenkt die Aufmerksamkeit auf diese Information und verstärkt die Wirkung noch. Das Pattern suggeriert: Schnell kaufen, sonst ist die schöne Teekanne weg!
Scarcity Patterns gibt es auch in Varianten, bei denen die angebliche Knappheit schlicht erfunden ist. Oder es wird zumindest nicht deutlich gemacht, ob sich die begrenzte Verfügbarkeit auf das Produkt insgesamt oder nur auf das Kontingent des besuchten Portals bezieht.
https://dapde.de/de/dark-patterns/arten-und-beispiele/druck2/
Es lohnt sich, für Bespiele und die Rechtslage auch «Deceptive Patterns» anzuschauen: https://www.deceptive.design/types/fake-scarcity
Es ist die schiere Angst, etwas zu verpassen. Dass die Ware knapp wird, der Preis massiv raufgeht, und auch, dass man nur eine kurze Zeit die Ware bekommt oder zu einem bestimmten Preis.
Verknappung ist ein Mittel, das überall im Marketing verbreitet ist, nicht nur in Online-Shops. Es funktioniert z.B. auch in Finanzmärkten, schafft Börsenhypes. Bei «Kryptos» wie Bitcoin ist «Scarcity», also Knappheit, sogar eines der Grundprinzipien: es wird nur eine limitierte Anzahl Bitcoins geben.
Rabatte, Countdowns und das Spiel mit der Zeit
Auf Deceptive Patterns heisst das «Fake Urgency»: Falsche Dringlichkeit.
Wenn ein Benutzer unter Zeitdruck steht, ist er weniger in der Lage, die ihm angezeigten Informationen kritisch zu bewerten, da er weniger Zeit hat und möglicherweise Angst oder Stress verspürt. Anbieter können dies zu ihrem Vorteil nutzen, um sie zu einer Aktion zu drängen, die möglicherweise nicht ganz im Interesse des Benutzers ist.
https://www.deceptive.design/types/fake-urgency
Es scheint etwas unlogisch zu sein, aber Rabatte haben auch was mit Verknappung zu tun, weil sie damit den Kauf bestimmter Produkte ankurbeln wollen. Meistens kommen Rabatte jedoch mit einer Befristung, dann werden sie unschlagbar. Hier ein Beispiel aus dem Online-Shop von 20 Minuten, wie das gehen könnte:

Zum einen winkt ein Rabatt von 30 %. Um diese Botschaft mit dem Prinzip der Verknappung zu verstärken, steht als Zusatz «Nur noch 10 % verfügbar!»
Noch eine Stufe raufgeschraubt sind Angebote mit Rabatt und Countdown.
Anbieter von Handy-Abos im Besonderen haben im Monatsturnus befristete Angebote in ihren Werbebotschaften. Je nach Marketing-Medium gibt es noch einen Countdown-Timer dazu, bei dem man sehen kann, wie die Sekunden verrinnen.
Dapde schreibt dazu im Abschnitt «Druck» und «Countdowns»:
Countdown-Dark Patterns erwecken (wahrheitsgemäß oder fälschlicherweise) den Eindruck, eine Ware bzw. Dienstleistung ist nur noch für eine bestimmte Zeit verfügbar. Grafisch wird dies durch eine ablaufende Uhr oder Leiste verdeutlicht. Man kann zusehen, wie einem das gewünschte Gut davongleitet.
https://dapde.de/de/dark-patterns/arten-und-beispiele/druck2/
Auch Online-Medien wie der Tagesanzeiger machen bei diesen Methoden mit:

Der Text des Popups ändert sich von Anlass zu Anlass. 2024 war es zuerst Eurovision. Dann im Sommer die Fussball-EM in Deutschland.
Wir wissen, dass der Tagi nach Ablauf automatisch das nächste befristete Spezialangebot aufschaltet. Genauso wie bei den Handyabo-Firmen. Trotzdem funktioniert das immer wieder bei einzelnen Konsumenten und Konsumentinnen.
Um etwas durchschnaufen zu können, beenden wir den ersten Teils dieses Berichts und fahren in Kürze weiter. Alle Links erscheinen am Ende des Teil Zwei.